Am 29.10.2005 planen niedersächsische Faschisten unter der Schirmherrschaft der NPD einen Aufmarsch in Göttingen - erstmals seit drei Jahren wollen die Neonazis wieder in die als "rote Hochburg" verschrieene Stadt eindringen.
Nach verschiedenen vorrangegangenen Versuchen, die die Nazis bereits seit den neunziger Jahren unternahmen und die teils verhindert, teils durch massive Polizeieinsätze durchgedrückt wurden, geht es auch diesmal wieder in erster Linie um Provokation: in Göttingen selbst sind die Faschisten überhaupt nicht präsent; für ihren geplanten Aufmarsch rekrutieren sie Schläger und Steifelnazis aus dem ganzen Bundesgebiet: sog. "freie Burschenschaften", NPD-Aktivisten, Demo-Kader.
Rein zahlenmäßig sind die Faschisten in Göttingen wie auch an den allermeisten anderen Orten Deutschland massiv unterlegen - nur durch zehnfachen Polizeischutz vor hundertfachen Gegendemonstrationen sicher, wird ihnen der Korridor durch die protestierende Bevölkerung freigeräumt, notfalls auch freigeprügelt.
Die CDU-geführte Stadtverwaltung Göttingen hat den Nazis bereits nach den ersten zaghaften Fühlungsversuchen breitestes Entgegenkommen signalisiert: nicht nur, dass die Stadt großzügig auf eine Verbotsforderung gegenüber der Nazidemo verzichtet; schon im Vorfeld machten sich die Stadtbüttel die Mühe, den Nazis detaillierte Aufmarschrouten auszuarbeiten und anzubieten: über das Weender Tor, durch das Unigelände und überden Kreuzbergring sollen die Nazis eskortiert werden; über die Herzberger Landstraße und den Theaterplatz wieder zurück bis zum Schützenplatz - eine Sightseeing-Tour, die keine Wünsche offenlässt.
Obendrein haben Stadtverwaltung und Polizeiführung bereits angekündigt, die Demo auf jeden Fall durchzusetzen; auf Blockaden seitens der Antifaschisten werde mit "flexiblen Routenänderungen" reagiert werden - der Reiseführer zeigt sich von seiner großzügigsten Seite.
Seit Mitte der neunziger Jahre ist es längst wieder ein Stück traurige Normalität auf deutschen Strassen geworden, Faschisten in voller Montur ertragen zu müssen - durch massive Unterstützung durch Polizei und Verwaltungen sind die selten mehr als einige Hundert zählenden faschistischen Schlägertrupps in die Lage versetzt, auch zigtausenden Gegendemonstranten trotzen zu können: auf sich alleine gestellt, kämen sie keinen Block weit; hinter den schützenden Polizeischildern hingegen lässt es sich ganz gut aushalten.
Seine Ambivalenz gegenüber linken und rechten Organisationen zeigt der Staatselten so deutlich wie hier: unter dem Deckmantel der "Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung", die auch Andersdenkenden eine freie Meinungsäußerung möglich machen muss, wird den Faschisten gegen den massiven Protest der Bevölkerung die Straße geräumt; mit dem gleichen Argument, die "Freiheitlich-Demokratische Grundordnung" müsse sich "wehrhaft zeigen" gegenüber denen, die sie abschaffen wollen, werden Linke nicht nur auf linken Demos verhaftet, zusammengeschlagen und in die Knäste gesperrt.
Faschisten haben seit 1990 über 200 Morde an Andersdenkenden oder Ausländern in Deutschland verübt - sie dürfen demonstrieren, geschützt durch die "Freiheitlich-Demokratische Grundordnung". Antifaschisten, die sich nicht abfinden wollen mit dieser Form der neuen Relitäten in der Berliner Republik, werden kriminalisiert, gejagt und abgeurteilt - zum Schutze der "freiheitlich-Demokratischen Grundordnung".
Eine Argumentation, die an Lächerlichkeit und Zynismus kaum mehr zu überbieten ist, aber dennoch Methode hat. Mit ihrem politischen Vortrupp, der NPD, die nach gescheiterten "Verbotsverfahren" einen regelrechten Immunitätsstatus genießt, hat sich in der einst unheilbar zerstrittenen rechten Szene ein neuer Block aus militanten "freien Kameradschaften", politischen Kadern und Schlägertrupps geeint, der mit seinen sozialdemagogischen, antisemitischen und rassistischen Stammtischparolen ein Gegengewicht zu den immer mehr an Schärfe gewinnenden sozialen Auseinandersetzungen darstellt - mit Bauernfängerparolen, scheinbar antikapitalistischen Parolen und Aufstachelungen gräbt die neofaschistische Bewegung an den Rändern der Protestbewegungen. Bis jetzt - glücklicherweise! - ohne nennenswerte Resultate; bei einer zu erwartenen Verschärfung sozialer Kämpfe in den nächsten Jahren könnte eine sozialdemagogische faschistische Bewegung allerdings wieder ein bedrohlicher und gefährlicher Faktor werden, der Deutschlands Straßen weit über das heute schon erreichte Maß unsicher werden lässt.
Auch in Göttingen treten die Nazis mit der demagogischen Parole "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns" an - Schuld an all diesen Übeln sind natürlich Ausländer, reiche Juden oder Yankees in der Sicht der Faschisten. Möglicher sozialer Unmut kann so in für die Strukturen unschädliche, weil die Systemfrage nicht stellende Bahnen gelenkt werden; soziale Bewegungen hingegen unter Druck (und irgendwann in Lebensgefahr) gebracht werden - wer sich mit Mordtrupps und Schlägerbanden beschäftigen muss, die es auf das nackte Leben abgesehen haben, wird keine Zeit mehr für weitergehenden Protest, für Mobilisierung oder Aktionen entbehren können.
Das alles ist heute noch keine Realität. NOCH werden es einige hundert Nazis sein, die sich alleine nie in die Stadt Göttingen trauen würden. NOCH bedarf es tausender Polizisten, damit die "Andersdenkenden" ihre "Meinung" sagen können. Und NOCH kommt auf einen Faschisten ein mehr als zehnfacher Anteil Gegendemonstranten.
Göttingen ist nur Teil des Problems - und auch Teil seiner Lösung. Dieselben Kämpfe wie hier finden in hunderten anderen Städten Deutschlands in jedem Jahr wieder statt, und an jedem dieser Orte gilt das Gleiche: Wenn wir sie nicht stoppen, wird es niemand tun - auf Polizei und Staatsgewalt, die sich im Umgang mit Faschisten von ihrer mildesten Seite zeigt, braucht niemand zu hoffen!
Es sieht mit allergrößter Wahrscheinlichkeit so aus, als ob am 29.10. die Faschisten nach Göttingen kommen werden - schicken wir sie gleich wieder in die Züge zurück!
FASCHISTENAUFMARSCH STOPPEN!
SCHLAGT DIE FASCHISTEN, WO IHR SIE TREFFT!
www.secarts.de schließt sich den Aufrufen der "Antifaschistischen Linken International" A.L.I. Göttingen und des DGB Südniedersachsen sowie des Bündnisses gegen den Naziaufmarsch, an dem sich bis jetzt über 60 Organisationen und Einzelpersonen beteiligen, an.
Der Aufruf des Bündnisses gegen Rechts kann
hier [pdf] heruntergeladen werden.
www.secarts.de fordert alle, insbesondere die in Göttingen und Umland lebenden, Besucher dieser Seiten auf, die Informationen weiterzutragen, selbst an der Gegendemonstration teilzunehmen und gemeinsam den Aufmarsch zu verhindern - diesmal in Göttingen, aber auch überall anders, wo Faschisten ihr Unwesen treiben.
Weitere Informationen zu Terminen im Vorfeld, Sammelpunkten für die Gegendemo und Routen der Nazis finden sich auf der Homepage der "Antifaschistischen Linken International A.L.I." [
externer Link].
Vordrucke für Unterschriftensammellisten gegen die geplante Nazidemonstration können
hier [pdf] heruntergeladen werden; volle Listen gehen an den DGB Südniedersachsen, Obere Masch 10, Göttingen.