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Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall erhält einen der ersten Millionenzuschüsse aus dem EU-Rüstungsfonds und wird damit Grundlagen für die EU-weite Standardisierung sogenannter Soldatensysteme erforschen. Dabei handelt es sich um Kampfausstattung für abgesessene Soldaten, die mit modernster Technologie elektronisch in die vernetzte Operationsführung der Truppe eingebunden werden. Rheinmetall produziert ein solches System unter der Bezeichnung "Infanterist der Zukunft" für die Bundeswehr und hat dafür zuletzt einen Auftrag im Wert von 370 Millionen Euro erhalten. Entsprechende Profite winken, sollte es dem deutschen Konzern gelingen, die Streitkräfte der EU-Staaten einheitlich mit einem neuen EU-Soldatensystem auszustatten. Weil der EU-Rüstungsfonds auf den Aufbau einer "europäischen" Rüstungsindustrie zielt, drohen neue Konflikte mit den Vereinigten Staaten, die aus dem EU-Rüstungsmarkt verdrängt zu werden fürchten - während gleichzeitig Waffenschmieden aus der EU wie etwa der deutsche Rheinmetall-Konzern in den USA expandieren.

EU-"Infanteristen der Zukunft"

Kern des neuen Rheinmetall-Projekts, das mit einer Millionensumme aus dem EU-Rüstungsfonds finanziert wird, ist die Schaffung von Grundlagen für die EU-weite "Standardisierung künftiger Soldatensysteme".1 Beim Bau sogenannter Soldatensysteme verfügt der deutsche Konzern über umfangreiche Erfahrungen; so produziert er schon seit Jahren ein System modernster Kampfausstattung mit der Bezeichnung "Infanterist der Zukunft" (IdZ) für die Bundeswehr. Das System bindet abgesessene Soldaten elektronisch in die vernetzte Operationsführung der Truppe ein. Zentrale Elemente sind dabei, so schildert es Rheinmetall, ein akkubetriebener "Kernrechner" und ein Helmsystem. Während der auf dem Rücken getragene "Kernrechner" alle Geräte und Sensoren steuert und vernetzt, die der Soldat mit sich führt, zeigt das Helmsystem die relevanten Daten zur militärischen Lage und zum Kampfauftrag auf einem Display an. Die Vernetzung mit anderen Teilen der Truppe erfolgt dabei etwa über einen Transportpanzer Boxer oder über einen Schützenpanzer Puma.2 Die Grundlage für ein EU-weit genutztes Soldatensystem entwickelt Rheinmetall nun im Rahmen des EU-geförderten Projekts GOSSRA ("Generic Open Soldier Systems Reference Architectur").

Millionenschwere Folgeaufträge

Dabei schafft das Projekt nicht nur die Voraussetzungen dafür, dass die europäischen Streitkräfte künftig in einem wichtigen Rüstungsbereich mit deutscher Technologie ausgestattet werden, sondern auch dafür, dass millionen-, vermutlich sogar milliardenschwere Aufträge die Kassen deutscher Firmen füllen. So hat Rheinmetall im Jahr 2013 für die Lieferung von 60 IdZ-Systemen an die Bundeswehr 84 Millionen Euro erhalten; damit konnten 60 Infanteriegruppen mit alles in allem gut 600 Soldaten ausgerüstet werden. Im Juni 2017 genehmigte der Haushaltsausschuss des Bundestages die Ausstattung von 68 Infanteriezügen mit IdZ-Systemen; die Lieferung, mit der gut 2.460 Soldaten bedient werden können, kostet rund 370 Millionen Euro. Rheinmetall stellt zudem Soldatensysteme für die kanadischen Streitkräfte her ("Argus"); von einer Lieferung von mehr als 4.000 Stück für einen Preis von insgesamt gut 250 Millionen US-Dollar ist die Rede. Zwar muss Rheinmetall in das GOSSRA-Projekt und wohl auch in die erhofften Folgeaufträge weitere Rüstungsfirmen aus der EU einbinden; an GOSSRA beteiligt sind Waffenschmieden aus Spanien (Indra, GMV Aerospace and Defence), Italien (Leonardo, Larimart), Portugal (Tekever), Polen (iTTi) und Schweden (Saab). Doch untersteht das Konsortium der Führung von Rheinmetall, weshalb die maßgebliche Kontrolle über das EU-Soldatensystem wohl in Deutschland verbleibt.

Innereuropäische Machtkämpfe

GOSSRA ist freilich nur eines von mehreren Projekten, für die inzwischen eine Förderung aus dem EU-Rüstungsfonds beschlossen worden ist. Das erste solche Forschungsvorhaben hat bereits im Dezember eine Zusage für Fördermittel in Höhe von einer Million Euro erhalten. Es handelt sich um ein Projekt namens "PYTHIA", das Schlüsseltrends in der Rüstungsindustrie identifizieren soll; Hauptauftragnehmer ist in diesem Fall die italienische IT-Firma Engineering Ingegneria Informatica, die im Rahmen des Projekts mit Unternehmen aus Frankreich, Großbritannien, Polen, Rumänien und Bulgarien kooperiert.3 Weitere Forschungsvorhaben betreffen die "Entwicklung adaptiver Tarnung zum Schutz von Soldaten gegen Sensoren" ("ACAMSII") und die "Entwicklung ultraleichter Körperpanzer für abgesessen kämpfende Soldaten" ("Vestlife").4 Das bislang mit Abstand umfangreichste Vorhaben soll "Missionen zur Meeresüberwachung und Blockaden des Seeverkehrs unterstütz[en]" und zu diesem Zweck "Drohnen und unbemannte U-Boote in Flottenverbände integrier[en]".5 Das Konsortium, das den Auftrag übernommen hat, wird von der italienischen Leonardo geführt; beteiligt sind Firmen aus 15 EU-Staaten, darunter Deutschland. Die Projektmittel belaufen sich auf 35 Millionen Euro - deutlich mehr als die eine bis 1,5 Millionen, die für GOSSRA zur Verfügung stehen. Die nationale Verteilung der Hauptauftragnehmer zeigt, dass der Machtkampf um die nationale Prägung der EU-Rüstungsindustrie bereits in vollem Gange, aber noch nicht entschieden ist.



"Europas Führungsrolle"

Ziel ist dabei, wie die EU-Binnenmarkt- und Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska bestätigt, "die Sicherung der strategischen Autonomie Europas": Die Kooperationsprojekte, die aus dem EU-Rüstungsfonds gefördert werden, sollen "die Grundlagen für künftige Verteidigungsfähigkeiten schaffen", "die europäische Verteidigungsindustrie innovativer und wettbewerbsfähiger machen" - und damit letzten Endes "die technologische Führungsrolle Europas sichern".6 Gefördert werden deshalb lediglich Unternehmen mit Sitz in einem EU-Staat, deren Eigentümer ebenfalls einem EU-Land entstammen; auch müssen die neu entwickelten Patente in der EU verbleiben. Auffällig ist, dass britische Unternehmen an Forschungsprojekten beteiligt sind, die aus dem EU-Rüstungsfonds finanziert werden; dies lässt darauf schließen, dass Brüssel sie auch nach dem britischen Austritt einbinden will, möglicherweise mit einem Sonderstatus. Einen solchen Sonderstatus können US-Unternehmen hingegen nicht geltend machen. Entsprechend sorgen sich US-Industrievertreter und -Politiker um die Stellung von US-Konzernen auf dem EU-Rüstungsmarkt. "Wir wollen, dass die Europäer militärische Fähigkeiten und Stärke entwickeln", wird Washingtons NATO-Botschafterin zitiert: "Aber nicht so, dass sie amerikanische Produkte aus ihrem Markt drängen."7 Genau dies steht aber möglicherweise bevor.

Transatlantische Rivalität

Tatsächlich könnte sich daraus der nächste transatlantische Konflikt entwickeln. Denn während Berlin und Brüssel bemüht sind, die Rüstungsindustrie und die Streitkräfte in der EU von anderen Staaten - insbesondere von den USA - unabhängig zu machen, ziehen nicht zuletzt deutsche Rüstungskonzerne zunehmend Profit aus dem Geschäft mit der US-Armee. Ein Beispiel bietet Rheinmetall, das Unternehmen, das zu den ersten Empfängern umfangreicher Mittel aus dem EU-Rüstungsfonds gehört. Vor rund einem Jahr gab der Düsseldorfer Konzern bekannt, soeben einen millionenschweren Auftrag zur Lieferung von Munition an die US-Luftwaffe erhalten zu haben - Patronen für den Kampfjet F-35. Der Auftrag umfasste einige zehntausend Stück; sein Wert belief sich auf 6,5 Millionen US-Dollar.8 Vor allem aber hatte er hohe strategische Bedeutung: Die Vereinigten Staaten wollen insgesamt 1.200 F-35-Kampfjets beschaffen, mehrere weitere NATO-Staaten setzen ebenfalls auf den Flieger; Munitionsbedarf besteht also in großem Umfang und auf lange Sicht. Zuletzt hat Rheinmetall vor zwei Wochen mitgeteilt, man beliefere nun auch das U.S. Marine Corps mit Tag-/Nacht-Übungsgranaten im Wert von gut drei Millionen US-Dollar und die U.S. Navy mit Blitzknallgranaten für 3,8 Millionen US-Dollar.9 Auch dabei liegt die Hoffnung auf Folgeaufträge nicht fern. Allerdings wird Washington vermutlich von einer gewissen Gegenseitigkeit ausgehen, die mit der Europäisierung des EU-Rüstungsmarkts künftig wohl nicht mehr im bisherigen Umfang gegeben ist. Dass die Trump-Administration Letzteres umstandslos hinnehmen wird, ist nicht übermäßig wahrscheinlich.


Anmerkungen:
1 Rheinmetall bei Ausschreibung zum Europäischen Verteidigungsfonds erfolgreich. rheinmetall-defence.com 19.02.2018.
2 Modulare Kampfausstattung für rund 2460 Soldaten. bundeswehr-journal.de 01.07.2017. Gerhard Heiming: Gladius für die Infanterie der Zukunft. Europäische Sicherheit & Technik. April 2013. S. 61.
3 European Defence Union: first defence research project funded from EU budget. europa.eu 22.12.2017.
4, 5, 6 Europäischer Verteidigungsfonds finanziert neue europaweite Forschungsprojekte. europa.eu 16.02.2018.
7 Till Hoppe, Donata Riedel: Die gemeinsame Armee der EU entsteht nur langsam. handelsblatt.com 14.02.2018.
8 S. dazu Die Kriegszulieferer.
9 Millionenaufträge der US-Streitkräfte für Rheinmetall. rheinmetall-defence.com 14.02.2018.


 
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