Watutinki. Hört sich nach Sonne und Meer, nach Karibik an. Ist aber ein Ort 30 Kilometer südwestlich von Moskau, Heimat des Direktorats „Kosmische Aufklärung“ des russischen Militärnachrichtendienstes. In den vergangenen Wochen zogen dort, in Watutinki, 23 kickende Millionäre mit einem Begleittross von sie zu Fußballübungen anhaltenden Trainern sowie Physiotherapeuten, Ärzten, Zeugwarten und Köchen ein. Scouts und Spione reisten inkognito durchs Land, um Gegner aufzuklären. Half alles nichts.
Geschlagen kehrten mal wieder Deutsche aus Russland heim. Geschlagen diesmal von Südkorea, Platz 57 in der FIFA-Weltrangliste: 0:2. Vielleicht hätte der DFB mit der kosmischen Aufklärung zusammenarbeiten sollen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Wir wissen es nicht. Das Geschrei war groß im Lande. „Das frühe Ausscheiden der Nationalelf ist für die Gastronomen eine große Enttäuschung in geschäftlicher Hinsicht“, sagt eine Sprecherin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Auch die Brauereien klagen. „Bei einem Weiterkommen des deutschen Teams hätte es in der zweiten WM-Hälfte erfahrungsgemäß ein zusätzliches Absatzpotenzial von etwa 400.000 Hektolitern (Anmerkung des Verfassers: Das sind 40 Millionen Mass, auf der letzten Wiesn wurden 7,5 Millionen geschluckt) für die hiesige Braubranche gegeben, sagte der Sprecher der Privatbrauerei Veltins, Ulrich Biene. Sicher schlecht für die Brauindustrie, wohl aber gut für die Verkehrsstatistik. Deutschland-Trikots des im bayerischen Herzogenaurach beheimaten Sportartikel-Herstellers Adidas werden im Internet für knapp 40 Euro gehandelt. 89,95 wurden vorher gefordert.
[file-periodicals#206]Geschäfte sind gefährdet, aber die Nation fühlt sich blamiert – zumindest Teile. „Schauen Sie sich das Trikot der Fußballnationalmannschaft an. Weiß, mit grauen Streifen. Die Farben Deutschlands fehlen komplett. Das war von Anfang an ein schlechtes Omen“, kommentiert ein sich Sokrates nennender User auf Handelsblatt online. Nationalismus schwingt mit bei den Spielen der DFB-Auswahl, und so ist es nicht verwunderlich, dass Einige auch gewalttätig werden. In der libanesischen Hauptstadt Beirut ist es nach dem WM-Aus der deutschen Mannschaft zu einem tödlichen Angriff gekommen. Ein 17-jähriger Anhänger der DFB-Elf stach auf einen brasilianischen Fan ein. Das Opfer starb. Analyse für „das historische“ und „blamable“ Abschneiden wird gefordert, „Verantwortung“ sei zu übernehmen. Schuldige werden gesucht. Und in Mesut Özil und Ilkay Gündogan gefunden, zwei aus Gelsenkirchen stammende DFB-Auswahlspieler mit türkischen Familienwurzeln.
Diese hatten sich, dummerweise, mit dem türkischen Staatspräsidenten und Despoten Recep Erdogan ablichten lassen. Ein Skandal für den deutschen Michel, selbst Bundes-Angie Merkel hat sich über ihren Sprecher kritisch geäußert. Es sei eine Situation gewesen, „die Fragen aufwarf und zu Missverständnissen einlud“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Als Nationalspieler hätten die beiden Vorbildfunktion.
Wenige Tage später lud Merkel Erdogan nach dessen Wahlsieg nach Berlin ein – und lobte ihn für dessen Beitrag zur Flüchtlingsinternierung in der Türkei. „Deutschland und die Türkei verbindet eine langjährige Freundschaft“, heißt es in ihrem Regierungsschreiben. „Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen die Zusammenarbeit unserer Länder weiter zu fördern und zu vertiefen.“ 2015 übrigens fuhr Merkel höchstpersönlich nach Istanbul, um Erdogan wegen der Flüchtlinge zu treffen, und betrieb so Wahlkampfhilfe für den Despoten. Wenn´s denn Deutschland dient – und den Geschäften.
2022 wollen die DFB-Kicker sich revanchieren. In Katar, einem kleinen Land mit großem politischen Einfluss am Persischen Golf, absolutistisch regiert und mit der Scharia als Rechtsgrundlage. Macht nichts, so die Haltung der Mächtigen aus Deutschland. Da werden dann schon mal Kampfflugzeuge wie der Eurofighter, Kampfpanzer oder Haubitzen geliefert – gleichzeitig auch an Saudi-Arabien, welchem die außenpolitischen Ambitionen der katarischen Herrscherfamilie Al-Thani ein Dorn im Auge sind und deshalb Krieg führt. Wenn´s denn Deutschland dient – und den Geschäften.
Bis zu vier Milliarden Dollar werden in die zum größten Teil neu zu errichtenden Stadien gesteckt. An der Planung maßgeblich beteiligt das Architekturbüro AS+P aus Frankfurt. AS steht für Albert Speer, den mittlerweile verstorbenen Sohn von Hitlers Reichsminister für Bewaffnung und Munition gleichen Namens. Gute 200 Milliarden Dollar beträgt das Investitionsbudget. Klar, dass bundesdeutsche Firmen absahnen wollen. Hochtief, Bilfinger Berger und Siemens sind dicke drin im Geschäft.
Ein Skandal sind unter anderem die Arbeitsbedingungen. Schon im September 2013 berichtete der Guardian über Ausbeutung der Gastarbeiter und zahlreiche Tote. Zwischen dem 4. Juni und dem 8. August 2013 seien 44 Gastarbeiter ums Leben gekommen, die Hälfte von ihnen nach Herzversagen oder Arbeitsunfällen, ausgelöst durch die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen. Selbst ein 103-seitiger Bericht von Amnesty International im November 2013 kümmert nicht. Wenn´s denn Deutschland dient – und den Geschäften.
Wer übernimmt hierfür die Verantwortung? Die Kanzlerin? Hochtief, Bilfinger Berger und Siemens? Der DFB?
Aus: Auf Draht, Betriebszeitung aus München.